Schimpansen
führen Kriege
und Bonobos
machen Liebe

provozierende Aspekte der Verhaltensforschung

 

Bild links:
Ein Orang Utan begreift,
dass sein Spiegelbild kein Fremder ist

Von Thomas Gärtner

Affen und Delphine scheinen ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein zu besitzen. Der Amerikaner Gordon Gallup Jr. konfrontierte 1969 zum ersten Mal junge Schimpansen mit ihrem Spiegelbild. Zunächst reagierten sie wie fast alle Tiere: Sie hielten ihr Konterfei für einen Artgenossen. Nach einigen Tagen aber änderten sie ihr Verhalten. "Sie zogen Grimassen, untersuchten ihre Mundhöhle und inspizierten Körperbereiche, die sie nie zuvor gesehen hatten", beschreibt Gallup seine Beobachtungen.
Um auszuschließen, dass sich die Tiere nicht einfach nur an ihr Spiegelbild gewöhnt hatten, sondern sich ihrer selbst bewusst waren, betäubte der Tierpsychologe die Affen und malte ihnen rote Punkte auf Augenbraue und Ohr. Gallup: "Als sie aufwachten, betrachteten sie sich im Spiegel. Dann berührten sie die Farbpunkte." Sie begriffen offensichtlich, dass das Spiegelbild kein Fremder war. Außer Schimpansen bestanden auch Orang-Utans den Test. Bei Gorillas waren die Ergebnisse weniger eindeutig. Alle anderen Tiere verweigerten die Selbsterkenntnis völlig.
Vor wenigen Monaten bestanden allerdings Delphine den Test - erstmals Tiere, die nicht zu den Primaten zählen. Für die Delphinforscherinnen Diana Reiss und Lori Marino ist dies ein Beleg dafür, dass Bewusstsein nicht auf Menschenaffen und Menschen beschränkt sein muss. "Es scheint eher vom Entwicklungsgrad des Gehirns und der Fähigkeit zu kognitiven Fähigkeiten abzuhängen", so die Expertinnen. Delphine besitzen ein etwa 40 Prozent größeres Gehirn.

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Da das Erkennen des eigenen Spiegelbildes nicht als besonders schlagkräftiges Argument anerkannt und weiterhin die These vertreten wurde, es gäbe einen qualitativen Unterschied zwischen dem Bewusstsein von Menschen und dem hoch entwickelter Primaten, habe ich vorgeschlagen, einen Aufsatz zur Diskussion zu stellen, den ich vor einigen Monaten in einer anderen Philogroup verfasst habe. Ich halte nach wie vor den Nachweis einer Ich-Identität, wie er in den letzten Jahren von der Primatenforschung geführt wurde, für wissenschaftlich wasserdicht und möchte in den folgenden zwei Mails diese These, die zugleich ein philosophisches Thema berührt (Anthropologie), zur Diskussion stellen.

Descartes hatte Tiere als "seelenlose Maschinen" bezeichnet, denen jegliche Bewusstseinsqualitäten abzusprechen seien, da sie quasi-automatisch mit festgelegten Verhaltensweisen auf fest definierte Reize reagierten. Ich halte dieses Vorurteil für seinen zweiten Irrtum, neben der Definition des Menschen als "animal rationale", der in unseren Tagen durch die Gehirnforschung in die Mottenkiste der historischen Irrtümer verfrachtet wurde. Leider haben sich diese beiden Thesen einer mechanistischen Menschen- und Weltsicht lange in den Köpfen der Menschen gehalten, und erst in allerneuester Zeit kann man von einem allmählichen Umdenken, einem "Paradigmenwechsel", wie Thomas S. Kuhn sagen würde, sprechen.

Können Affen philosophieren?

Die Bonobos haben zu Recht ein wenig Staub aufgewirbelt, denn diese munteren kleinen Kerlchen sind in jeder Beziehung bemerkenswert. Angeregt durch die hitzige Diskussion in dieser group wollte ich es genauer wissen und dieser Menschenaffenart auf die Schliche kommen. Bei meinen Recherchen mit google ist mir fast die Kinnlade runtergefallen, denn die Primatenforscher widerlegen restlos jedes  Unterscheidungskriterium, das in der Menscheitsgeschichte eingeführt wurde, um den Unterschied von Mensch und Tier zu benennen.

Besonders deutlich wird das anhand der  Bonobos, die als menschenähnlichste Affenart gilt und an denen auch wesentlich häufiger und länger der aufrechte Gang beobachtet werden konnte als bei den drei anderen Menschenaffenarten (Schimpansen, Gorillas, Orang-Utans).  Ich bin inzwischen der Meinung, dass der Ausdruck "Tier" hier längst nicht mehr greift, sondern, dass es sich bei den Bonobos um Wesen handelt, die den Rubikon zum "Menschsein" längst überschritten haben, also als "alter ego" zu sehen und zu behandeln sind. Hier in Kürze das, was ich über die Bonobos herausgefunden habe:

1) Werkzeuggebrauch und -herstellung

Wie ich bereits vor einiger Zeit darstellte, wurde die bis dahin herrschende Ansicht, der Homo sapiens befinde sich einsam an der Spitze der Evolution, bereits 1921 durch die Aufsehen erregenden Experimente Köhlers gekippt. Er zeigte, dass Schimpansen aufgrund logischer Denkprozesse (und nicht durch wahlloses Rumprobieren) in der Lage waren, sich gezielt Werkzeuge zu bauen, um eine anstehende Aufgabe zu lösen, und diese Werkzeuge dann zweckrational einsetzten. Sein Fazit noch einmal in Kürze:

"Die Schimpansen zeigen einsichtiges Verhalten von der Art des beim Menschen bekannten. Nicht immer ist, was sie Einsichtiges vornehmen, äußerlich Menschenhandlungen ähnlich, aber unter geeignet gewählten Prüfungsumständen ist der Typus einsichtigen Gebarens mit Sicherheit nachzuweisen. Das gilt, trotz der sehr bedeutenden Unterschiede von Tier zu Tier, selbst für die unbegabtesten Individuen der Art, die hier beobachtet wurden, und wird sich danach an jedem Exemplar dieser Art bestätigen lassen, sofern es nicht gerade schwachsinnig in pathologischer Wortbedeutung ist." (Wolfgang Köhler, Intelligenzprüfungen an Menschenaffen, Berlin 1973, S. 191)

Der Nachweis einer Ich-Identität hingegen, eines Selbstbewußtseins, wurde erstmals 1970 von Gordon Gallup erbracht und seitdem etliche Male in immer wieder neuen Versuchsanordnungen bestätigt.

Bei den Bonobos ist das alles noch einen Zacken schärfer. Sie stellen sich regelrechte Werkbanken mit Hammer und Amboss her, wobei diese Technik der nachfolgenden Generation überliefert und vermittelt wird. Bislang haben die Primatenforscher 24 verschiedene Arten von Werkzeuggebrauch, 9 Rohstoffe für solche Werkzeuge und 12 Arten von Werkzeugnutzungen  identifizieren können. Werkzeugherstellung und -gebrauch können dabei aber keine genetischen Programmierungen sein. Denn:

"Die Werkzeugnutzung ist eine Kultur, weil verschiedene Stämme, die genetisch identisch sind, in derselben Umwelt verschiedene Traditionen von Werkzeugnutzung und -herstellung zeigen. Im übrigen ist die Werkzeugnutzung nachweislich angelernt, wenn sie Jungtieren beigebracht wird, die dann diese Tradition weiter tragen."

Die Bonobos kennen eine Welt der Überlieferung, d.h. sie haben Kultur.

2) Die Bonobos kennen Medizin

Das bedeutet nicht nur, dass sie sich bei ganz bestimmten Beschwerden ganz bestimmte Mittelchen aus der Naturapotheke verabreichen, also über die Fähigkeit der Selbstmedikation verfügen, sondern sie tun das auch mit einer ganz bestimmten Dosieranleitung und einem feststehenden Anwendungsritus:

"Situationen, in denen die Medizin angewandt wird, sind z.B. Apetitlosigkeit, Verstopfung, Darmparasiten, Darminfektionen, Kopfweh, Magenbeschwerden, Ringwürmer, Menstruationskrämpfe, Wehen einleiten, Abtreibung, Nierenschmerzen, Durchfall, Fieber, Zahnschmerzen usw.
Bei manchen der Mittel ist die Wirkung unbekannt, bei manchen gab es eine pharmakologische Bestätigung der medizinischen Wirkung und manche der Medizin ist auch bei einheimischen Menschen derselben Gegenden bekannt. Jedenfalls ist auch diese medizinische Fürsorge ein Kulturgut, wiederum weil verschiedene Stämme, die genetisch identisch sind, in derselben Umwelt verschiedene Traditionen von Medizinanwendungen zeigen, und die Medizinanwendungen selbst in der Kindheit von Erwachsenen gelernt werden.(...) Auch in der Art der Einnahme dieser Medizin wird sehr sorgfältig vorgegangen. Manche Medizin wird nur gekaut und ausgespuckt, andere geschluckt, wieder andere nur im Mund 5 Sekunden gerieben und dann entfernt usw. Manchmal wird die Medizin ausschließlich bei Morgengrauen eingenommen, und zwar so, dass das Blatt nie mit den Fingern berührt wird, indem es direkt mit dem Mund von der Pflanze gepflückt wird. Man hat gefunden, dass die medizinisch relevante Chemikalie erst durch den Morgentau aus der Blattoberfläche gelöst wird, und eben bei Berührung mit den Fingern abgewischt werden würde."

Eine weitere Kuriosität: "Blätter werden als Tupfer gebraucht, um eine Wunde zu stillen. Weiter gebraucht der Schimpanse bei Durchfall oftmals Blätter als Toilettenpapier."

3) Schimpansen und Bonobos lügen und betrügen

Schon Köhler hatte beobachtet, dass ein Schimpanse ihn in ein scheinbar harmloses Spiel verwickelte, dessen wahrer Zweck ihm erst hinterher klar wurde: Es ging dem Affen um den "Spielgegenstand", den Stock, mit dem er, nachdem Köhler gegangen war, die Birne, die Köhler vor dem Käfig vergraben hatte, ausbuddelte. (vgl. Köhler,a.a.O.,S.200ff.) Eine Wiederholung in Form von Versuchsanordnungen bestätigte die wahre Absicht des Schimpansen, der das Spiel nur als Manöver vortäuschte, um an ein Instrument zur Nahrungsbeschaffung ranzukommen.

Das ist durchaus keine gewöhnliche Fähigkeit, denn um jemanden zu täuschen und seine wahren Absichten zu verschleiern, bedarf es komplexer Verstandesleistungen, insbesondere die, sich in die Sichtweise derjenigen hineinzuversetzen, die getäuscht werden sollen. Affen müssen also eine deutliche Vorstellung von den Verhaltenserwartungen und Einschätzungen ihrer Artgenossen haben, damit der Betrug auch funktioniert:

"Es gibt viele Beispiele aus der Freilandforschung, bei denen beobachtet wurde, wie einzelne Individuen ihre unmittelbaren Bedürfnisse zurückgestellt haben und mit ihrer Körpersprache eine andere Gefühlslage vorgetäuscht - also gelogen - haben, um Vorteile zu bekommen oder um Aggression zu entgehen usw. Beispiele dazu sind Paare, die, um zu vermeiden, dass die Gruppe von ihren sexuellen Abenteuern erfährt und sie unterbindet, Desinteresse aneinander vortäuschen, sich dann in zeitlichem Abstand einzeln und unabhängig aus der Gruppe entfernen, um sich gezielt außer Sicht- und Hörweite der Gruppe zu treffen und Sex zu haben. Oder Individuen, die einen besonderen Leckerbissen entdecken, aber weil andere in der Nähe sind so tun, als hätten sie nichts gesehen, dann teilnahmslos zu warten bis auch der letzte sich entfernt hat, um sich dann ganz gezielt und rasch den Leckerbissen zu holen und alleine zu verspeisen.
Für solche Handlungen müssen die SchimpansInnen und Bonobos von sich ein Bild haben, und eine Vorstellung, wie die anderen Individuen sie sehen. Mit anderen Worten, diese Tiere müssen eine sehr hoch entwickelte Form von Selbstbewußtsein haben."

Nicht nur das. Jane Goodall (Foto), die berühmte Schimpansenforscherin, konnte zudem noch nachweisen, dass Schimpansen sich nicht nur an weit zurückreichende Episoden ihrer eigenen Lebensgeschichte erinnern, sondern auch eine Vorstellung von der Zukunft haben. Auch andere typisch "menschliche" Eigenschaften konnten dingfest gemacht werden:

"Als eine alte Schimpansendame in einem holländischen Zoo im Winter unter den kalten Temperaturen litt, legte sie sich für den nächsten Tag Heu bereit, um vorzusorgen. Sie konnten bewusst Witze machen, andere hinters Licht führen und lügen. Versuche bewiesen darüber hinaus, dass sie sich von dem, was sie mit verbundenen Augen mit den Fingern erfühlen, ein inneres Bild machen können. Von all dem dachte man, es seien ausschließlich menschliche Fähigkeiten."

4) Bonobos produzieren Kunst


Es braucht wohl kaum erklärt zu werden, welche Denkleistungen und imaginativen Fähigkeiten erforderlich sind, um künstlerisch tätig zu werden. Bei den Bonobos lassen sich derartige Leistungen deutlich lokalisieren:

"Aus der Freilandforschung ist gemeinsames Singen bekannt, in der Gefangenschaft haben einige Individuen auch gemalt und gezeichnet und so Kunstwerke geschaffen, die auf Auktionen höhere Preise erreicht haben, als so manches menschliche Kunstwerk. Der Bonobo Kanzi ist für seine Zeichnungen von Bäumen z.B. bekannt geworden."

Einen Baum malen, und nicht bloß irgendein Gekritzel, setzt eine enorme Abstraktionsleistung voraus, vornehmlich die Fähigkeit, sich die Welt, in der man lebt, zum Gegenstand machen zu können, d.h. ein inneres Abbild von dem zu produzieren, was man alltäglich erlebt und diese Eindrücke dann künstlerisch zu verarbeiten. Die Höhlenzeichnungen der Neanderthaler setzten ein ebensolches distanziertes Verhältnis zur Außenwelt voraus - eine Fähigkeit, die man bislang nur der Gattung homo sapiens zuerkannte.

 

5) Die Bonobos kennen den individualisierten Geschlechtsakt
 

Wie bereits ausführlich beschrieben, setzen die Bonobos Sex  nicht nur gezielt zum Spannungsabbau ein und zur Einebnung möglicher gewalttätiger Tendenzen, sondern insgesamt als sozialen Regulationsmechanismus, als eine Art sozialen Kitt, um Freundschaften herzustellen, zu vertiefen und um den Gruppenzusammenhalt insgesamt zu festigen. Dabei scheint es keinerlei Tabus zu geben, bis auf eines: Bei der Partnerwahl scheinen sie lediglich ein Tabu zu kennen: Zwischen Müttern und ihren Söhnen gibt es keine sexuellen Kontakte, alle anderen Kombinationen in der Partnerwahl sind dagegen häufig."

Besonders verblüffend für die Primatenforscher war die Tatsache, dass Bonobos recht häufig jene Art des Geschlechtsverkehrs praktizieren, den man bislang einzigartig der menschlichen Spezies zuschrieb:

"Freilebende Tiere kehren einander bei etwa jeder dritten Kopulation das Gesicht zu." 

Also "die klassische Missionarsstellung, von der die „Zivilisation“ eine lange Zeit dachte, man hätte sie erst den „Wilden“ als zivilisierte Art von Sex beizubringen. Es gibt auch den Abbruch des sexuellen Verkehrs, wenn der/die PartnerIn Desinteresse zeigt usw. De facto gibt es keine physisch mögliche Paarungsstellung, die nicht schon beobachtet worden ist."

Bei den Bonobos dominieren übrigens die Weibchen; es sieht fast so aus, als seien die sozialen Strukturen innerhalb eines Verbandes matriachalisch strukturiert.

6) Schimpansen führen Kriege

Dabei handelt es sich nicht um ein wildes, unkontrolliertes Drauflosprügeln, sondern um ein gezieltes, strategisches Vorgehen mit einem Langzeit-Plan. Jane Goodall mußte während ihres jahrzehntelangen Aufenthalts in der Schimpansengesellschaft zu ihrem Entsetzen einen Krieg miterleben, der vier Jahre dauerte und zum Auslöschen der gegnerischen Horde führte ("Es war ein gewaltiger Schock, als wir das erste Mal die männlichen Affen bei ihren Patrouillen entlang der Grenzen des Territoriums beobachten konnten...") Dabei scheint dieser Krieg der Logik militärischer Planung zu folgen:

"Der nördliche Stamm schickte dabei regelmäßig schlagkräftige Patrouillen in das Territorium des südlichen, mit dem Ziel, einzelne vornehmlich männliche Individuen in einem Überraschungsangriff zu töten. Solche Angriffe dauerten oft 20 Minuten und waren eindeutig auf die Ermordung des angegriffenen Individuum ausgerichtet. In dieser Weise gelang es dem nördlichen Stamm insgesamt 7 Männer und 3 Frauen aus dem Süden zu töten. Dadurch wurde der südliche Stamm so geschwächt, dass sein gesamtes Territorium vom nördlichen Stamm übernommen werden konnte."

Falls nun jemand auf den Trichter kommen sollte, aus diesem Verhalten Rückschlüsse etwa auf die "Natur des Menschen" ziehen zu wollen und etwa zu behaupten: Krieg, Mord, Totschlag seien eindeutige Dispositionen, die genetisch in der Gattung homo sapiens verankert seien, so könnte ich mit gleichem Recht die Gegenrechnung aufmachen und auf die "Ghandis" der Menschenaffen, die Bonobos, verweisen. Diese menschenähnlichste Affenart kommt nämlich definitiv ohne Mord und Totschlag aus: "Da Bonobos Aggression durch Sex ersetzt haben, gelten sie als sehr friedliche Tiere. Fälle von Tötung oder Kannibalismus sind nicht bekannt."

7) Bonobos sind in der Lage, mit Menschen sinnvolle Gespräche zu führen

Das Beste zum Schluss. Und das, was in der Fachwelt und in den Medien wohl die größte Verblüffung hervorgerufen hat. Bekannt  aus etlichen Fernsehsendungen ist dem amerikanischen Fernsehpublikum etwa Kanzi, mit dem die Primatenforscher sich bereits nach extrem kurzer Trainingszeit mit Hilfe einer "Lexigrammsprache" unterhalten konnten. Kanzi versteht über 250 Lexigramme und kennt die Bedeutung von Hunderten englischer Wörter.

Schon Jane Goodall hatte den Schimpansen, in deren Horde sie integriert war, die Zeichensprache gelehrt und entsprechende Versuchsanordnungen gestartet, um die sprachliche Kompetenz der Primaten einschätzen zu können:

"Zeichen sind etwas sehr Abstraktes. Und tatsächlich können Schimpansen ein Zeichen benutzen, um über ein Objekt zu reden, dass außerhalb ihres Blickfelds ist. Sie können die Zeichen auch verallgemeinern: Wer das Symbol für das Zudrehen eines Wasserhahns gelernt hatte, generalisierte es und benutzte es, wenn er eine Tür zumachte. Sie verstanden also, dass es jeweils um den Akt des Zumachens ging. Sie erkennen sogar Sachen auf dem Bildschirm und benutzen die Information, die ihnen dort gegeben wird: Wenn sie zum Beispiel im Fernsehen jemanden sehen, der irgendeinen Leckerbissen im Gelände versteckt, dann gehen sie raus und finden es sofort." (J.Goodall)

Haben Schimpansen einmal eine Zeichensprache erlernt, so sind sie in der Lage, nachfolgende Generationen darin zu unterrichten:

"Sie können sich Zeichensprache regelrecht beibringen. Allerdings nur dann, wenn wir Menschen vorführen, dass man Zeichensprache lehren und lernen kann. Eine Mutter, die dies zuvor von uns gelernt hatte, unterrichtete ein adoptiertes Kind, das im Alter von acht Jahren 56 verschiedene Zeichen beherrschte: "will haben", "ich", "Apfel" - all dies waren erlernte Vokabelgesten."

In den Experimenten mit den Bonobos  "konnte nachgewiesen werden, dass die Tiere völlig neue Sätze von sich gaben, die sie als ganzes noch nie gehört hatten, aber jedes einzelne der Worte kannten. Damit bewiesen sie, dass sie Grammatik verstehen lernen können...So konnte der Bonobo Kanzi z.B. über Kopfhörer die auf englisch gegebene Anweisung er möge vor die Türe gehen, den gelben Ball liegenlassen, den roten Ball nehmen, wieder zurückkommen und den Ball in den Eiskasten legen, vollständig verstehen und befolgen, obwohl er nachweislich genau denselben Satz vorher noch nie zu hören bekommen hatte, aber natürlich jedes einzelne Wort kannte. So wurde nachgewiesen, dass gewisse Schimpansen und Bonobos englisch zu praktisch 100% verstehen lernen konnten..."

8) Philosophie, Religion

Dies ist zugegebenerweise eine spekulative These. Ob Schimpansen und Bonobos über die grundlegende Fähigkeit verfügen, über die Welt, in der sie leben "nachzudenken", sie gar philosophisch zu reflektieren, können zur Zeit keine gesicherten Aussagen gemacht werden. Immerhin jedoch beobachtete Jane Goodall während ihres jahrzehntelangen Aufenthalts in der Schimpansenhorde eigentümliche, anscheinend funktionslose, kollektive Rituale der sich immer wieder an einem Wasserfall versammelnden Primaten, und stellte, laut denkend, die Frage, ob es sich hier möglicherweise um rudimentäre Vorformen kultischer Handlungen handele. Noch seltsamer und interpretationsbedürftiger sind die wissenschaftlich nun dingfest gemachten "Regentänze" der Schimpansen, von denen afrikanische Eingeborene immer schon berichteten, die aber bis 1960 für einen Mythos gehalten wurden. Über die Bedeutung von "Regentänzen", die letztlich mit einer Vorstellung eines höheren Wesens (Gott) verbunden sind, wissen wir mehr als genug aus unserer eigenen Geschichte. Ob es sich aber bei den Ritualen, die die Schimpansen bei Gewitter aufführen, tatsächlich um rituelle Regentänze handelt - darüber sollte sich jeder selbst ein Urteil bilden anhand der gegebenen Beschreibung der Primatenforscher:

 

Ich zumindest bin davon noch nicht überzeugt, weil etliche andere Erklärungsmuster greifen.

Wie dem auch sei - aufgrund der relativ neuen Faktenlage bezüglich der phantastischen Fähigkeiten und Leistungen der Menschenaffen fordern der bekannte Philosoph Peter Singer und etliche Primatenforscher die Zuerkennung von mindestens drei Menschenrechten für Menschenaffen:

"Nämlich die Rechte auf Freiheit, Leben und Unversehrtheit. In England wurden schon alle Tierversuche an Menschenaffen generell verboten. In Österreich ist es Zirkussen und Varietes verboten, Menschenaffen auftreten zu lassen. Und in Neuseeland wird in diesen Monaten eine gesetzliche Erweiterung der obigen Menschenrechte auf alle Menschenaffen im Parlament erwogen und diskutiert. Das Great Ape Project, eine internationale Koalition von ExpertInnen und engagierten Individuen, hat zum Ziel einen entsprechenden Antrag auf Erweiterung obiger Menschenrechte auf alle Menschenaffen der UN Generalversammlung vorzulegen, damit sie von allen Staaten der Welt unterschrieben werden kann."

Es wäre zumindest ein Anfang, dass menschliche Vernunft sich hier ein Denkmal setzen könnte.
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Wie Affen lernen
Jane Goodall im Interview: "Von den Schimpansen lernen, dass wir Tiere sind"
Bruder Affe
Ein kognitiver Rubikon?
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Thomas Gärtner (49, Berlin, Germanistik, Philosophie) ist freier Autor, Musiker und Philosoph. Er moderiert einen regelmäßigen und gut besuchten AOL-Chat zu aktuellen Themen der Philosophie und organisiert philosophische Newsgroups.