Der Filmpalast

Es ist bereits dämmrig an diesem kühlen Winterabend in dem Kurort Horn-Bad Meinberg. Durch die Glastüren des Kinofoyers dringt Licht auf den mit Klinkersteinen gepflasterten Vorplatz. Der “Filmpalast” ist in dem spärlich beleuchteten Gässchen dieser Wohngegend die hellste Lichtquelle. Eine einfache weiße Tür an der Seitenwand des quaderförmigen Gebäudes führt zu einer steilen Treppe. Kästen mit Leergut stapeln sich an den Seiten des Aufgangs, aus der Wand ragt ein dünnes Eisengeländer. Til Schweiger schaut von einem vergilbten Filmplakat hinab und vom oberen Ende der Treppe sind surrende Geräusche von Maschinen zu hören. Hinter dem wuchtigen schwarzen Projektor mit 1600 Watt Leistung sitzt der fünfzigjährige ehemalige Grundschullehrer Günther Sondermann mit konzentriert abwesendem Blick. Da nur ein Projektor zur Verfügung steht, werden die Werbefilme und Trailer von einer kleineren Spule, die am Projektor befestigt wird, abgespielt. Mit geübten Fingern fädelt der Kinoinhaber den Werbefilm durch ein Labyrinth von Spulen und setzt ihn an einer zweiten Spule wieder an.
Im Foyer geht es noch ruhig zu. Menschen trudeln nach und nach ein, es entsteht keine Hektik. Mit seinen goldenen, gemusterten Tapeten und den schweren schwarzen Vorhängen, die den Eingang zum Saal und zum Balkon säumen, wirkt es fast wie das Foyer eines Theaters. 1932 ist dieser Kinozweckbau entstanden; er war ausschließlich zur Vorführung von Filmen gebaut worden. Der einzige Vorbesitzer hatte hier bis zu seinem Tod im Jahr 1989 Filme gezeigt. 1995 erfuhr Günther Sondermann, der schon seit November 1992 die “Filmwelt” in Detmold, einen der ältesten erhaltenen Kinozweckbauten aus dem Jahre 1911, betreibt, durch Zufall von dem leer-stehenden Gebäude. Nur ein halbes Jahr später eröffnete er den “Filmpalast” wieder. Nicht nur Kurgäste profitierten von der Wiedereröffnung des Lichtspielhauses. “Mittlerweile haben wir ein Stammpublikum von bis zu 400 Leuten, die aus der Umgebung von Horn-Bad Meinberg zu uns kommen, und das bis zu zehnmal im Jahr”, beschreibt der Kinobetreiber seinen Erfolg. Da Horn-Bad Meinberg ein kleiner Ort ist, die Einwohnerzahl liegt bei ca. 18.000, verlangt der Filmverleih geringere Abgaben vom Gewinn, den der Film einspielt. “Müssen in Detmold die Besucherzahlen bei über 2000 liegen, damit ich Gewinn mache, so reichen in Bad Meinberg schon Zahlen, die über 1000 liegen”, erklärt der Fünfzigjährige seine Überlegungen,in ein paar Jahren die “Filmwelt” aufzugeben, um sich ganz auf den “Filmpalast” zu konzentrieren.
Bevor die Werbung gestartet wird, verbringt Günther Sondermann noch ein wenig Zeit im Foyer und unterhält sich mit den Besuchern, die er persönlich über kommende Filme informiert. “Ich lasse mich auch von den Kunden beeinflussen. Fragen mich bis zu zehn Leute nach demselben Film und ob wir den spielen, dann weiß ich schon im voraus, dass dieser Film gute Zahlen bringen wird”, beschreibt er sein Vorgehen bei der Auswahl von Filmen, die nur selten dem Mainstream zuzuordnen sind. Außerdem geht er davon aus, dass nicht in jedem Kino jeder Film gespielt werden kann. “Der Film muss zu dem Haus passen”, ist seine Devise. Das Programm wird durch kleinere, oftmals unbekanntere Filme bestimmt, die von der groß propagierten, auf kommerzielle Verwertung getrimmte Mainstreamware überrollt und verdrängt werden. “Film ist ein Bereich, bei dem Kunst und Kommerz im Clinch liegen, wobei Kommerz meist gewinnt”, fasst Günther Sondermann diesen Vorgang zusammen. Für ihn steht die Kunst im Vordergrund und die wachsende Anzahl an Stammkunden bestärkt ihn in dieser Hinsicht.
Es ist neunzehn Uhr, im “Filmpalast” startet um diese Uhrzeit die Hauptvorstellung, was nicht zuletzt mit den Ausgehzeiten der Kurgäste zusammenhängt. Im Saal ertönt ein dreifacher Gong, ähnlich dem der Tagesschau und das Licht erlischt. Oben im Vorführraum startet Günther Sondermann die Werbung. Zehn Minuten später wird der Saal wieder erhellt, die Saalmusik, etwas Klassisches, erklingt abermals. Im Vorführraum windet der Inhaber mit routinierten Handgriffen den Hauptfilm, der auf dem mittleren von drei großen, übereinander angeordneten metallenen Tellern schneckenförmig zusam-mengerollt liegt, über mehrere Spulen zum Projektor. Auch der Hauptfilm wird mit gekonnter Präzi-sion durch das Labyrinth aus Spulen gefädelt. Er wird auf den oberen Teller gespult und kann beim nächsten Start, wieder vom Innern der Schnecke beginnend, ohne Rückspulen abgespielt werden. Nochmals ertönt der Gong, die Lichter erlischen, das Schauspiel beginnt.

Lisa-Marie Sondermann, Grabbe-Gymnasium Detmold